Die unterschiedlichen Persönlichkeiten von Übergebern und Übernehmern

Im Rahmen der Studie gaben 53,88 % an, dass Kultur- und Führungsveränderung (d.h. insbesondere Kulturveränderung aufgrund eines anderen Führungsstils des Übernehmers) zu Problemen (z.B. Demotivation der Mitarbeiter, etc.) und daher womöglich zum Scheitern von Nachfolgen führt. Dieser Aspekt wird hier näher beleuchtet.

Vor einer Übergabe ist das System „Unternehmung“ in einem weitgehend einschätzbaren Zustand. Nun ändert sich aber der Eigentümer und Geschäftsführer. Damit ändert sich das System gravierend; die beobachtbaren Veränderungen wirken und ziehen mit einer manchmal langen, manchmal auch erschreckend kurzen Reaktionszeit Ereignisse nach sich, die sich intern und auch extern bemerkbar machen. Wenn die zunächst einzige Veränderung in den Persönlichkeiten von Übergeber und Übernehmer liegt, ist es angebracht, sich mit den jeweiligen Persönlichkeitsstrukturen auseinanderzusetzen.

Die Persönlichkeiten von Übergeben und Übernehmer

Die Persönlichkeitsbeschreibungen für jede der beiden Gruppen sind so mannigfaltig wie es Übergeber und Übernehmer gibt. Dennoch kann man – speziell im KMU-Bereich – gewisse Merkmalsstrukturen von Übergebern und von Übernehmern angeben, die eine annähernd allgemeinere, zumindest aber weitreichendere Gültigkeit haben könnten.

Übergeber sind oftmals Pioniere, die das Unternehmen zu dem gemacht haben, was es zum Übergabezeitpunkt ist: ein stark gewachsenes Unternehmen im KMU-Bereich. Die Unternehmung steht meist solide da und ist sowohl am Markt als auch bei den Mitarbeitern gut gefestigt. Manchmal kann die Unternehmensentwicklung auch soweit fortgeschritten sein, dass die vom Gründer geschaffenen Strukturen dem Unternehmer „über den Kopf gewachsen“ sind. Dadurch kann das Unternehmen sogar gefährdet sein, ohne dass dies vom Übergeber wahrgenommen wird. Das kann auch mit Realitätsverweigerung zu tun haben.

Häufige Persönlichkeitsmerkmale von Übergeber sind:

  • Der Übergeber hat sein Handwerk von der Pike auf erlernt. Er ist deutlich mehr Praktiker als Theoretiker.
  • Er hat sein Unternehmen ganz wesentlich gestaltet und war auch stets Ansprechperson und Entscheider in allen Belangen. Er hat damit stets „an“ seinem Unternehmen gearbeitet und weniger „in“ seinem Unternehmen.
  • Die gesamte Organisation war stets auf ihn fixiert; er hat das patriarchalisch geführt; manchmal konnte das autoritär wirken. Widerspruch wird oft auch gar nicht geduldet, genauso wenig, wie Hilfe angenommen wird.
  • Er ist sehr kostenbewusst und hat die Kardinalstugend des Sparens auch in „besseren Zeiten“ beibehalten.

In diesen „Schuhen“ kann der Übernehmer oft nicht gehen! Ihre Ausgangssituation ist ganz anders, und sie sind vielfältiger „gestrickt“:

  • Ihr bisheriges Leben war von Verwöhnung geprägt. Oder: Der Vater hat bereits früh begonnen, den Übernehmer in das Unternehmen einzuführen. Dies kann mitunter auch ziemlich anstrengend bis rau gewesen sein, zumindest aber fordernd.
  • Sie haben eine gute bis sehr gute Ausbildung und einen Universitäts- oder FH-Abschluss.
  • Es kann auch sein, dass sie im Betrieb und im Schutz des Vaters eine Lehre gemacht haben.
  • Sie kennen die Unternehmung „vom Küchentisch“ von Kindheit an, ohne sich viel mit dem Unternehmen direkt auseinandergesetzt zu haben.
  • Die „Härte“ eines Lebens in der „ungeschützten“ Wirtschaft haben sie selten kennengelernt. Damit fehlen ihnen auch die nötige Durchschlagskraft, eine Beharrlichkeit in Verbindung mit Stehvermögen.
  • Den patriarchalischen Führungsstil des Übergebers lehnen sie ab und bevorzugen den kooperativen Führungsstil. Aufgrund der mangelnden Durchsetzungsfähigkeit gleitet dieser gelegentlich auch in einen angepassten Führungsstil ab.
  • Er hat hochfliegende Pläne und weiß, was er „anders“ machen will.

Es geht in dieser groben Beschreibung nur darum, dass der Leser sich in die aus den unterschiedlichen Profilen sich ergebenden Problematiken und Systemveränderungen hineindenken und die möglichen Auswirkungen vorhersehen kann. Im Grunde ist es wie bei einem Trainerwechsel im Fußball; auch dort soll eine Mannschaft in der jeweiligen Liga zum Erfolg geführt werden. Das kann eine weitgehende Beibehaltung der Stärken sein, aber auch eine gänzliche Veränderung der Spielausrichtung. Manche Trainer können die Spielanlage erfolgreich umstellen, und einigen gelingt das nicht. Manchmal dauert es auch eine gewisse Zeit, bis sich die Spieler und die neuen Spielzüge eingespielt haben.

Erwartung und Verhalten

Die Mitarbeiter haben sich meist mit den Gegebenheiten arrangiert. Auch wenn oftmals vieles nicht passt, so ist die Sicherheit, die damit gegeben ist, ausreichendes Motiv, keine Änderungen herbeizuführen. Sicherheit als Urmotiv des Menschen wirkt sehr stark beharrend; dies kann soweit gehen, dass „Leiden stärker als Lösen“ ist.

Diese Sicherheit wird durch die Unternehmensübergabe massiv gestört. Alleine der Zustand der Unsicherheit löst massive Reaktionen im gesamten Umfeld aus, ohne dass der Übernehmer dazu Einfluss nehmen kann. Das Umfeld merkt intuitiv, in welcher Situation ein Unternehmen ist. Je latenter eine bevorstehende Krise ist, desto stärker werden die Reaktionen ausfallen. Von Seite der Banken können das weitere unerwartete Sicherheiten zur Risikoabdeckung vom Unternehmen sein, die verlangt werden, von Seite des Marktes eventuell Preisnachlässe, kürzere Lieferzeiten, aber auch Sonderprodukte, und von Seite der Mitarbeiter können das Forderungen in Richtung höheren Entgelts oder höherer Stellung im Unternehmen sein.

Kennzeichnend in der Phase des Übergangs ist, dass sich alle entweder eine Verbesserung oder eine Reduktion des Risikos versprechen. Andernfalls würden sie unverzüglich reagieren. Für den Übernehmer kommen damit klare Erwartungen dazu, die mehr oder weniger offen – meist eben weniger – bekannt sind. Das erschwert seine Situation, weil er aufgrund der fehlenden Kenntnis von Erwartungen nicht darauf reagieren kann. Er will aber vielmehr agieren und selbst neue Akzente setzen. Das bedeutet eine neue oder geänderte Strategie und damit neue Handlungen. Das ruft auf allen Ebenen Unsicherheit hervor, weil ein „mehr vom Gleichen“ nicht unbedingt bessere Ergebnisse hervorbringt und neue Wege immer mit offenen Fragen gepflastert sind. Das Urverlangen nach Sicherheit wird dadurch gestört, und es treten Beharrungskräfte auf. Die unterschiedlichen Bedürfnisse je Umfeldbereich sind vom Übernehmer auch kaum auf einen gemeinsamen Nenner zu bringen, sodass die Diskrepanz zwischen erwartetem Verhalten und erlebten Verhalten noch spürbarer wird.

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Abb.: Erwartungsmodell; Diskrepanzen zwischen erwartetem, beabsichtigtem und erlebtem Verhalten zwischen Übergeber bzw. Übernehmer und betrieblichem Umfeld.

Kennzeichnend für eine Übergabe/Übernahme ist auch, dass sich die Erwartungshaltungen des Umfeldes an den Übernehmer ändern. Die Diskrepanz zwischen erlebtem Verhalten vom Übergeber zu den erlebten Handlungen vom Übernehmer wird noch spürbarer. Verhaltensweisen, die vom Übergeber akzeptiert wurden, werden beim Übernehmer nicht automatisch auch angenommen.

Fazit

Eine zwingende Veränderung in der Unternehmungsführung ist bei einer Übernahme alleine schon durch den Wechsel der Personen gegeben. Das löst bei den meisten Mitarbeitern Unsicherheit aus; die Wirkung ist, dass Beharrungskräfte jede Veränderung nur wie zähe Masse fließen lassen. Der 2. Teil beschäftigt sich mit diesen Beharrungskräften und gibt Hinweise, wie ein Führungsübergang gelingen kann.

Autor: Dr. Norbert Obermayr