Genau wie bisher – nur ein bisschen anders!

Die unterschiedlichen Persönlichkeiten von Übergeber und Übernehmer lösen alleine für sich schon eine Diskontinuität in der Führung aus. Da Bekanntes durch Unbekanntes abgelöst wird, entsteht einmal Unsicherheit. Diese Unsicherheit bringt aber einerseits als Folge (i. S. v. „abkaufen lassen“) und andererseits als Entwicklungsmöglichkeit (i.S. v. „Chancen von Veränderungen nutzen“) Erwartungen mit sich, die sich tw. wesentlich von früher unterscheiden. Je stärker das erlebte Verhalten vom erwarteten Verhalten abweicht und je weniger das beabsichtigte Verhalten wahrgenommen wird, desto schwieriger gestaltet sich die Übernahme, und desto energischer müssen die Beharrungskräfte überwunden werden. Das könnte selbst wiederum zum „Circulus Vitiosus“ werden.

Beharrungskräfte im Unternehmen

Veränderungen sind immer mit Unsicherheiten behaftet. Es liegt in der Natur des Menschen, Unsicherheit stets in Sicherheit verwandeln zu wollen. Die Grundtendenz ist mehr in der Verteidigung der Sicherheit zu sehen als im Aufbruch. Der Übernehmer hat sich damit vielmehr mit Killerphrasen wie „das geht (bei uns) nicht“ auseinanderzusetzen als mit Veränderungswillen, wie „das gehen wir gleich an“! Nun liegt es an der Persönlichkeitsstruktur des Übernehmers, hier adäquat und konstruktiv, aber auch unmissverständlich zu reagieren. Ist ein „Bewegungszustand“ einmal eingetreten, gilt es das Prinzip der „Kaltverformung“ zu nutzen.

Die „Kunst der Übernahme“ liegt darin, das Paradoxon Leistungsbereitschaft (= der Drang, die eigenen Fähigkeiten einzusetzen) versus Sicherheitsbestreben (ja keinen Zustand der Unsicherheit aufkommen zu lassen) zu überwinden: Dies gilt insbesondere so lange, bis aufgrund von Veränderungen „Sicherheit“ erreicht wird; diese wird dann „verteidigt“, was die beschriebenen Beharrungskräfte hervorruft. Die „Kunst der Übernahme“ scheint damit auch in den Fähigkeiten des Übernehmers begründet zu sein, das „richtige“ Maß an Herausforderungen zu schaffen und Veränderungen zu fordern. In der Tat kann ein Erfolgsgeheimnis erfolgreicher Übernahme darin liegen, dass ein hohes aber noch nicht ungesundes Maß an Unsicherheit geschaffen wird.

Der Führungsübergang vom Übergeber an den Übernehmer

Übergeber und Übernehmer haben eine völlig andere aus der Herkunft stammende Prägung und damit auch eine gänzlich andere Persönlichkeitsstruktur. Das beabsichtigte Verhalten lässt sich in bestimmten Grenzen noch abstimmen und hängt von den jeweiligen Zielen des Übernehmers ab. Dieser handelt durchaus klug, wenn er in der ersten Phase der Übernahme sich mit allzu großen Veränderungen und neuen Zielen zurückhält. Die Nicht-Verfügbarkeit der umfassenden Unternehmenskenntnis zwingt aber den Übernehmer, dennoch neue Strukturen zu schaffen. Die Berücksichtigung von 2 Führungsprinzipien erweisen sich als vorteilhaft:

  • Das Prinzip der Struktur (als männliches Prinzip) und
  • das Prinzip der Kultur (als weibliches Prinzip).

Die Struktur bildet sich in den betrieblichen Prozessen der Leistungserstellung ab. Diese Prozesse sind häufig auf den Übergeber als Entscheider zugeschnitten; ohne seine Entscheidungen läuft meist nichts. Die Mitarbeiter sind es gewohnt, nach klaren Handlungsanweisungen zu arbeiten, und ihnen fehlen auch oft das spezifische Wissen und die Zusammenhänge, um selbständig entscheiden zu können. Nun ist aber mit der Übernahme eine Wissenslücke entstanden; diese kann nur mit Entscheidungen unter großer Unsicherheit oder durch die Verteilung des erforderlichen Wissens geschlossen werden. Übernehmer wie auch Mitarbeiter sind da gleichsam gefordert: der Übernehmer mit einem gewissen „Mut zur Lücke“ und die Mitarbeiter mit einem raschen Kompetenzaufbau. Letzteres geschieht aber nicht von selbst, sondern muss gefordert werden. Und dazu müssen neben neuen Strukturen auch eine neue Kultur geschaffen werden.

Die zentrale patriarchalische Führung ist von einer dezentralen zielorientierten Führung abzulösen. Das bedingt zumindest eine neue Aufbauorganisation mit klaren Zuständigkeiten, das sich in der Zuordnung von Aufgaben, Kompetenzen und Verantwortung niederschlägt. Diese neue Organisation beginnt nicht automatisch zu leben und führt nicht per se zu besseren Ergebnissen, sondern muss gerade in der Anfangszeit eingefordert und nach dem Prinzip kybernetischer Regelkreise steuernd begleitet werden.

Struktur als männliches Prinzip und Kultur als weibliches Prinzip erschaffen quasi als „Kind“ die Dynamik als drittes Element. Die Entstehung einer derartigen Dynamik ist ein entscheidender Erfolgsfaktor für eine gelingende Übernahme.

 

Fazit

Genau wie bisher geht nicht mehr! Es hat sich mindestens ein entscheidender Faktor geändert: die Person des Übernehmers. Es „muss“ ein bisschen anders werden! Die informelle Struktur des Übergebers muss durch eine formelle Organisation des Übernehmers abgelöst werden. Da der gewachsene patriarchalisch straffe Führungsstil des Übergebers vom Übernehmer nicht aufrechterhalten werden kann, muss er diesen mit einer zielorientiert straffen Führung ersetzen. Die operative Entscheidungsfähigkeit wird durch geeignete Strukturen ermöglicht, die von prozessorientierten Hilfsmittel unterstützt werden. Platz für Diskussionen und Spielräume muss zumindest in der ersten Phase möglichst knapp gehalten werden, was aber nicht einen Wissens- und Erfahrungsaustausch ausschließen soll. Es gilt zunächst den „Ball flach zu führen“; d.h., dass zuerst nur in den operativen Prozessen Sicherheit und Zuverlässigkeit angestrebt wird, bevor strategische Veränderungen angegangen werden können. Eben: nur ein bisschen anders!

Autor: Dr. Norbert Obermayr